Ziegelbauten


Prof. Dr. phil. habil. Dr.-Ing. Hermann Wirth, Bauhaus-Universität Weimar


Mathias Buß


27.01.2006





Moderator:

Welche Rolle die Gotik in Europa, speziell die Backsteingotik, spielte, weiß aus Passion und Leidenschaft Prof. Dr. Herrmann Wirth. Professor an der Bauhausuniversität hier in Weimar. Mathias Buß sprach mit ihm und fragte ihn zunächst nach dem Zeitgeist, der der Backsteingotik zuzuordnen ist.

Prof. Dr. Wirth:

Ich würde das nicht so sehr auf die Gotik beschränken und auch nicht so sehr auf Norddeutschland. Reden wir mal allgemein vom Backsteinbau und dessen reichste künstlerische Entfaltung seit der, na sagen wir Spätromanik kunstgeschichtlich gesprochen bis an die Schwelle der Renaissance etwa. Dann sind wir in der goldenen Zeit, in großen Anführungsstrichen, des Mittelalters. Das Mittelalter ist ja gekennzeichnet gewesen durch eine geistige Konstellation, die mit unseren heutigen Wirtschaftsgebaren kaum vereinbar ist. Das ist das Sensationelle und das Großartige. Bauen z. B. war in dieser Zeit geradezu Gottesdienst. Man erfährt aus den Quellen eigentlich nur sekundär, wo das Geld her kam, wer es gesponsert hat u.s.w., Spenden u.s.w. Unter dem Aspekt der heutigen Globalisierung scheint mir das was sekundär. Damals erschien nämlich das materielle, das finanzielle sozusagen an vorderster Stelle zu stehen. Nun als Zeitgenosse sieht man die Sache natürlich etwas anders, als Historiker, wenn man noch rückwärts schaut.

Moderator:

Ja, aber kommen wir jetzt auf die Backsteingotik, auf die Zeit der Gotik zurück. Warum verbindet man eigentlich die Backsteingotik vor allem immer mit dem Norddeutschen, mit dem Nordeuropäischen Ländern? Oder ist diese Verbindung eine der berühmten Irrtümer der Menschheit?

Prof. Dr. Wirth:

Das kann man nicht sagen. Weil tatsächlich eine Backsteingotische Kultur, bleiben wir mal bei dem Begriff, haben wir etwa die Zeit 1220/1520/30 im Auge. Tatsächlich müssen wir sagen, in den nordeuropäischen Ländern haben wir eine Verbreitung dieser Backsteinkultur, die ist gerechtfertig erscheinen lässt, dass man direkt von Kunstprovinzen reden kann, künstlerischen Provinzen die aber, wohl gemerkt, über Ländergrenzen hinwegreichen.

Moderator:

Gehen wir mal konkret darauf ein. Welchen Wirkungskreis beschreibt eigentlich die Backsteingotik territorial?

Prof. Dr. Wirth:

Man kann es etwa deckungsgleich mit der Ausbreitung der Hanse, insbesondere der Küstenstädte. Halle an der Saale war auch eine. Namentlich also am Küstenstreifen, na sagen wir, von den Niederlanden bis zu den Baltischen Staaten.

Moderator:

Kann man sagen, dass die damaligen Bauhütten die Botschafter einer europäischen Kulturströmung waren?

Prof. Dr. Wirth:

In gewisser Weise sicherlich. Der Gedanke der Landesgrenze direkt als Sperre sozusagen ist ja im Grunde genommen eine Erfindung erst seit dem 18. und 19. Jahrhundert

Moderator:

Also mit dem Beginn der Nationalstaaten.

Prof. Dr. Wirth:

Ja und das ist natürlich in gewisser Weise verhängnisvoll. Es ist interessant auch daran zu erinnern. Wir haben ja auch dieses Jahr dieses sogenannte deutsch-französische Jahr. Der Napoleonische Geist, der Europa mit vielen Waffentaten und viel Blut bekleckert hat, hat natürlich auch ganz was positives in sich gehabt. Der letzte große Gedanke oder der vorletzte, ein gesamtes vereintes Europa über die Grenzen hinweg. Die Befreiungskriege haben im Grunde genommen dann eine durchaus, aus heutiger Sicht gesehen, verhängnisvolle Wirkung gehabt, indem sie die Nationalstaaten verfestigt haben und den Sozialismus des 19. Jahrhunderts geschaffen haben.

Moderator:

Jetzt wieder zurück zur Gotik. Welchen Einfluss hatte eigentlich die Architektur seiner Zeit auf die Wirtschaft und auf die Politik?

Prof. Dr. Wirth:

Auf jeden Fall war die architektonische Entfaltung mehr geistlich als wir das heute beobachten. Ich hatte das schon angedeutet. Bauen war in gewisser Weise Gottesdienst und nicht umsonst oder zufällig sind die Monumentalbauten Gotischer Zeit in Sakralbauten, aber die Bürgerzeit steht dem nicht all zu fern.





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