Thema:
Perspektiven für Menschen in ehemaligen Tagebaugebieten
Interviewpartner:
Philipp Oswalt, Berliner Architekt, Leiter Projekt SHRINKING CITIES
Moderator:
Fritz Burschel
Datum:
13.01.2006
Moderator:
Welche Perspektiven haben Menschen eigentlich in Gegenden wie der Lausitz, wenn einstige Tagebaugebiete umstrukturiert werden zu neuen, so genannten Kulturlandschaften. Werden dann arbeitslose Bergleute massenhaft zu Kartenabreissern und Kellnern umgeschult? Wie kann eine solche Umstrukturierung auch für die Menschen aussehen, damit in der frisch herausgeputzten Natur auch die Bewohner neue Perspektiven erhalten? Was passiert mit der Psyche der Menschen dort? Darüber wollen wir uns nun mit dem Berliner Architekten Philipp Oswalt unterhalten. Er ist Leiter des Projektes SHRINKING CITIES (schrumpfende Städte) und beschäftigt sich seit Jahren mit dem Problem zerbröselnder Industriestandorte.
Moderator:
Erst brechen die Industrie und mit ihr die Arbeitsplätze weg, dann geht der qualifizierte Teil der Bevölkerung, schließlich bröckelt die Infrastruktur. Wie verbreitet ist dieses Horrorszenario und ist es mittlerweile global anzutreffen?
Philipp Oswalt:
Ja, ich sehe ich es vorsichtig und nicht so dramatisch mit den Begriffen wie Horrorszenario, wobei natürlich die Entwicklung immer ausgesprochen negativ ist. Was man ja allein schon daran feststellen kann ist, dass ein guter Teil der Bevölkerung weg zieht. Aber wenn wir jetzt von schrumpfenden Städten sprechen ist es ein sehr verbreitetes Phänomen. Es ist nicht mehr sozusagen die Ausnahmeerscheinung, der Unfall, sondern es ist etwas, was wir eigentlich global gerade in den alten Industrieländern überall feststellen können. Es ist etwas, was z. B. in Großbritannien oder in den USA so ansatzweise mit der Weltwirtschaftskrise in den 30er Jahren, aber so richtig vielleicht seit den 60er und den 70er Jahren aufgetaucht ist. Man hat es dann immer nur so als vorübergehende Krisen, aber diese Phänomene haben zugenommen und insofern ist Ostdeutschland schon bei Leibe kein Einzelfall, sondern nur ein typischer, sehr deutlicher Fall einer allgemeineren Entwicklung.
Moderator:
Was für Auswirkung auf Lebensqualität und Psyche der Menschen hat denn diese, ja nennen wir es durchaus mal, Massenabwanderung?
Philipp Oswalt:
Ja, gut, die Massenabwanderung, dass sind ganz unterschiedliche Fragen, die Sie angesprochen haben. Die Massenabwanderung hat Verhandlungsprobleme, die sehr selektiv sind, also das grade die gut qualifizierten jüngeren mobilen Aktiveren wegziehen und die weniger Motivierten und nicht so Aktiven zurückbleiben. Wir haben es z. B. auch mit einer stark älter werdenden Bevölkerung zu tun. Es sind auch eher die Frauen, die wegziehen, als die Männer und das ist für die, die übrig bleiben, eine materiell schwierige soziale Zusammensetzung. Das ist, glaub ich schon mal, was die Imigrationsfolgen betrifft, sehr wichtig. Was man auch beobachten kann ist, wenn die Leute am Standort selber keine Lebensperspektive entwickeln, sich zum Teil mehr introvertiert verhalten, also sie schwer verarbeiten können. Wir sind eine Gesellschaft in Deutschland, die sehr stark vom Arbeitsmythos geprägt ist. Sie versteht sich also als Arbeitsgesellschaft. Die Leute definieren sich über Arbeit. Wenn sie sozusagen keine Arbeit haben, haben sie Schwierigkeiten mit ihrem Selbstverständnis, mit ihrem Selbstwertgefühl. Es gibt andere Gesellschaften, die damit anders umgehen. Der Begriff der Arbeitslosigkeit hat eine ganz andere Bedeutung. Bei uns ist es ein sehr starker Identitätsfaktor und das führt dann dazu, dass die Leute dann eine Identitätskrise sozusagen haben und auch hingehen und sich zunehmend in die eigenen privaten Räume zurückziehen. Z. B. heißt es, obwohl mehr Raum verfügbar ist, also leer stehende Gebäude, frei liegende Flächen, die man jetzt eigentlich aktiv nutzen könnte, dass die Leute aber weniger Raum in Anspruch nehmen als zuvor. Es hört sich paradox an, aber ja.
Moderator:
Sie haben vorhin gesagt, Horrorszenario könnte man das nicht nennen. Ich habe neulich einen Bericht über Weißwasser gehört, da hat man schon das Gefühl, dass die Leute schon verhandeln, wer der Letzte sein wird, der das Licht ausmacht. Wie weit wird denn diese zum Teil ja richtige Entvölkerung von Landstrichen in Ostdeutschland gehen? Was ist Ihre Prognose?
Philipp Oswalt:
Na gut, es gibt nichts desto trotz realistische Prognosen, die von einer Halbierung der Bevölkerungszahl in den nächsten Jahrzehnten ausgehen. Es ist natürlich schon sehr dramatisch, hat auch natürlich extreme Folgen für die Infrastruktur. Es gibt, dass muss man andererseits sagen, die optimale Bevölkerungsdichte, man kann auch qualitätvoll in dünn besiedelten Räumen leben. Es gibt ja viele Länder, denken wir mal an skandinavische oder an Australien, die viel dünner besiedelt sind und trotzdem auch eine gute Versorgung haben. Da braucht man aber völlig neue Infrastrukturkonzepte, also anders als man es heute kennt, die sozusagen Krankheit, Bildung, Versorgung, Kultur, eher sozusagen on demand, nicht dauerhaft institutionell anbieten, sondern sozusagen in einer ganz anderen modernen Form.
Moderator:
Das heißt also, so wie Sie es in schrumpfende Städte einst der Ausstellung, die zur Zeit noch in Halle-Neustadt zu sehen ist, wo sie mit diesem Planspiel MetroSachs eine quasi Bevölkerungsspange von Erfurt nach Dresden prognostizieren und sagen, der Rest der Landschaft wird entvölkert und renaturiert kann man sagen, ganz so drastisch wird es wohl dann doch nicht kommen oder?
Philipp Oswalt:
Nein, es ist ja immer so, man muss auch Standorte wie Weißwasser oder Hoyerswerda sehen. Es gibt dann doch immer so einen hartnäckigen Kern. Es gibt auch z. B. Leute, die sagen, es hatte eine sehr starke Urbanisierung und auch Ansiedlung in den 50er und 60er Jahren der DDR gegeben. Was bis heute passiert ist, dass eigentlich die Bevölkerungszahlen etwas zurückgehen auf die vorindustriellen Stände. Diese sind deutlich geringer, aber das beileibe nicht so viele Standorte verschwinden. Man kennt es gerade, wenn es die Bergbauabbaugebiete sind, wie hartnäckig sich Leute dann auch an ihrem Standort klammern können. Ich spreche nicht von Städten, die verschwinden, aber Städten, die natürlich extrem viel kleiner werden und diese Transformation bringt massive Probleme mit sich.
Moderator:
Jetzt wenn man sich mal den eher ländlichen Bereich anschaut und die Versuche ja auch durchaus im Ruhrpott, also in sehr städtischen Gebieten aus ehemaligen Industrielandschaften Freizeitlandschaften zu machen, dass hat doch bestimmt auch seine Grenzen, ich meine, irgendwo müssen ja die Leute auch herkommen, die diese Freizeit dann nutzen können.
Philipp Oswalt:
Das ist richtig. Also ich bin, auch was wenn man jetzt sozusagen die ganzen Renaturierungsprojekte betrifft, ausgesprochen skeptisch. Ich meine, es werden dort Milliarden Euro ausgegeben, um diese Räume in bestimmte Naturformen zu bringen. Es gibt durchaus Experten, die sagen, warum macht man überhaupt Eingriffe, warum werden diese Areale nicht eingezäunt, verwildert, der natürlichen Erosion überlassen, auch mit ihren Bergabrutschen und dergleichen. Man würde sozusagen Milliarden an Geldern sparen, die man andernorts einsetzen kann. Ich finde diesen Prozess hoch fraglich. Das ist natürlich sozusagen ein klassisches Standarddenken, dass man hat. Alles muss vertretbar sein. Wir müssen eine Verkehrssicherheit herstellen. Es müssen Naturräume sein, die man auch als Landschaftsbilder schon kennt, anstatt zu sagen, dort experimentell vorzugehen und die Mittel, die ja immer knapper werden, auf andere Fragen, die vielleicht wesentlicher sind, zu konzentrieren. Es ist natürlich so, wie Sie es auch schon mit Ihrer Frage implizieren. Diese Vorstellung, dass man jetzt alles durch Tourismus und Freizeit bewirken kann, ist natürlich abwegig. Man kann das vielleicht vereinzelt machen, sobald es einen Bedarf gibt. Aber die Lausitz wird sich auch nicht als gesamtdeutsches Tourismusareal etablieren können. Es gibt bestimmt für den regionalen Tourismus einen Bedarf. Es gibt bestimmt Formen des Extremtourismuses, wie bestimmte Sportarten, die Sinn machen können. Das sind keine großen Quantitäten, von denen man da spricht. Es sind wenige Menschen und dafür muss man auch Sinn für Proportionen und Angemessenheit entwickeln.
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